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Abseits ausgetretener Pfade

Heute Nacht bin ich wach geworden von Sams Taschenlampe. Er musste sich gerade vergewissern, dass alle Fenster und Türen geschlossen sind, denn irgendetwas kroch kratzend und schleifend über das Dach unserer Casa. Wer weiß, welche nachtaktiven Kreaturen Kuba so zu bieten hat. Auf alle Fälle betrunkene Touristen, die lärmten nämlich wenig später an unserer Unterkunft vorbei. Und der erste Hahn krähte um zwei Uhr morgens, aber der hatte sich sicher vertan.
Wir sind gerade in Playa Larga an der sogenannten Schweinebucht, in der die Amerikaner erfolglos versucht hatten, Kuba einzunehmen. Daran erinnert aber nicht mehr, als ein einsamer Panzer am Straßenrand. Wer hierher kommt – und das sind nicht allzu viele Reisenden – der möchte vor allem eins: Die spektakuläre Unterwasserwelt sehen.
Wir bewegen uns gern im Laufe einer Reise auf den wenig ausgetretenen Pfaden. In Vinales (ein Dorf mit 1200 Privatunterkünften, ca. 5000 Gästebetten) war das schlicht nicht möglich. Wären da nicht Bill und Carolin gewesen. Ein englisch-amerikanisches Paar aus Mexiko im Rentenalter, die mit uns eine Casa teilten. Sie waren mit ihrem Mietwagen auf eigene Faust durch den Nationalpark gefahren und hatten dabei das Sackgassendorf Ancón entdeckt. Da, wo sich am Tag gerade mal zwei bis drei Autos hin verirrten stand am Ende der Straße ein Guide mit einem Schild und versuchte, Leute für seine Touren durch den Dschungel zu gewinnen. Nachdem sie die Tour getestet und für ausgezeichnet befunden hatten, setzten sie uns am nächsten Tag dort ab, irgendwo im Nirgendwo. Der Guide konnte kein Englisch und unser Spanisch – nun ja, pocito.
Er führte uns in eine Höhle, erhellt nur von unseren Taschenlampen und bewohnt von hunderten Fledermäusen und großen Eidechsen. Auf und ab ging es durch den Dschungel, tief hinein bis zu einem kleinen Wasserfall mit einem natürlichen Pool zum Baden. Da tummelten sich auch einige „cerdio grande“, große Schweine, die tagsüber sich die Bäuche mit Eicheln voll schlagen und nachmittags auf den Ruf der Besitzer in die umliegenden Dörfer zurückkehren. Auf der ganzen dreistündigen Tour sind uns gerade mal zwei weitere Reisende begegnet.
Nach drei Nächten haben wir in Vinales unsere Zelte abgebrochen und sind weitergereist nach Playa Larga. Vier Stunden Fahrt mit einem taxi collectivo. Naja, eigentlich zwei. Denn nachdem wir es uns mit sechs anderen Reisenden gerade gemütlich gemacht hatten in dem alten Chevrolet, hieß es auf der Hälfte der Strecke: umsteigen. Und zwar in einen alten, super engen Truck. Gepäck auf’s Dach geschnallt, achtzehn Leute rein gestapelt und ab ging die wilde Fahrt. Wir brauchen dringend mal Bustickets…
Playa Larga ist ein kleiner Fischerort direkt am Karibischen Meer und mit Vinales nicht zu vergleichen. Hier halten nicht im Minutentakt Tourbusse, die den Ort mit Besuchermassen überschwemmen. Wer von A nach B will nimmt ein Fahrradtaxi und mit etwas Glück bekommt man einheimische Währung und für Streetfood und Getränke auch einheimische Preise. Die Casa, die wir schon von Deutschland aus gebucht hatten, haben wir nicht bekommen. Die, die wir jetzt haben, ist aber möglicherweise noch einen Tick besser und gehört dem Sohn unseres ursprünglichen Gastgebers. Wer es sich in Kuba gerade leisten kann, baut sein Haus zur Casa um, maximal zwei Fremdenzimmer dürfen die Kubaner vermieten und müssen dafür, ob belegt oder nicht, monatlich eine nicht unerhebliche Gebühr an den Staat entrichten. Vielleicht ist das der Grund für häufige Doppelbelegungen von Zimmern. So kann man notfalls der Familie oder Verwandtschaft noch ein, zwei Vermietungen verschaffen. Oft bieten die Casas auch Abendessen an, das muss man allerdings schon am Morgen bestellen, denn es wird erst eingekauft, wenn der Gast gewählt hat, was er essen möchte. Anders in Restaurants. Da gibt es das, was gerade verfügbar ist, egal was auf der Karte steht. Manche Restaurants haben deshalb gar keine Karte, sondern nennen dem Gast bei Ankunft die Gerichte, die es gerade gibt.
Das ländliche Kuba gefällt uns um Längen besser als die touristischen Hotspots, wo in jedem Tourist gleichzeitig ein Goldesel gesehen wird. Der Nachteil des Reisens abseits ausgetretener Pfade ist, dass man noch schlechter von A nach B kommt. Heute wollen wir weiterreisen nach Santa Clara. Weil da aber so wenige Touristen gleichzeitig hin wollen, bekommt man kaum ein taxi collectivo, von Bustickets ganz zu schweigen. Also ein Privattaxi. Natürlich aus der Verwandtschaft des Gastgebers, wie sollte es anders sein.
Vorher geht’s aber noch mal zum Strand, ein bisschen mehr Unterwasserwelt beobachten. Das haben wir gestern schon den ganzen Tag gemacht, bis das Meer uns schwindelig geschaukelt hatte. Aber das Wasser ist so klar und die Fische so bunt, das muss man einfach gesehen haben.
Die Hälfte unserer Reise ist um. Jetzt habe ich das Gefühl, angekommen zu sein und das Land zu verstehen. Zumindest ein ganz kleines bisschen.

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