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Mittendrin

Der alte Lada rumpelt die Serpentinen in die Berge hinauf und gibt dabei kontinuierlich Abgase durch ein Loch unter der Handbremse in den Innenraum des Fahrzeugs ab. Derweil läuft „The final Countdown“ vom USB-Stick des Fahrers. Irgendwie komm ich mir vor wie in einem schlechten Film… Da die offenen Fenster die fehlende Klimaanlage ersetzten, ist alles gut. Soweit.
Wir sind auf dem Weg von Santa Clara nach La Boca bei Trinidad. In Santa Clara waren wir nur für eine Nacht, um das Che Guevara-Memorial zu besichtigen. Jetzt geht es wieder ans Karibische Meer, an dessen Stränden so gut wie nie Palmen stehen. Ist wahrscheinlich nur Verkaufsstrategie der Tourismusbranche. Mir soll’s allerdings recht sein, denn die einheimischen Bäume sind viel ausladender und schattenspendender.
Die Gegend um Trinidad ist touristisch gesehen die lohnenswerteste in ganz Kuba. Man hat hier alles beisammen – Strand mit türkisblauem Meer, Schnorchel- bzw. Tauchspots, den Nationalpark Topes de Collantes mit über 800m hohen Bergen, Schluchten und zahlreichen Wasserfällen und die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt Trinidad. In La Boca, einem kleinen Dorf direkt an der steinigen Karibikküste wollen wir vier Nächte verbringen. Unser Plan ist denkbar einfach: ein Tag Strand und Schnorcheln, ein Tag Stadt besichtigen, ein Tag Nationalpark.
La Boca ist kaum der Rede wert. Ein paar Casas, ein kleiner Strand direkt am Hafen (das Wasser ist entsprechend eher braun als türkis), zwei Hotels für Einheimische, in denen von morgens früh bis abends spät laute, kubanische Musik läuft. Und eine kilometerlange Straße ins Nichts, auf der sich winzige Sandstrände und Schnorchelgründe wie Perlen auf einer Kette aneinander reihen.
Unsere Casa ist die Allerletzte, dahinter kommt nur noch die Straße ins Nichts, auf der Touristen mit Fahrrädern und Einheimische mit Pferdekarren einem schattigen Plätzchen für das Wochenende entgegenfahren. So lässt es sich leben.
Der Nationalpark Topes de Collantes ist ein unglaubliches Fleckchen Erde. Während ich in Vinales noch über die Mischung aus Kiefern und Palmen gestaunt habe, vereint er die wildeste Kombination an Pflanzen, die ich je gesehen habe: Kiefern, Palmen (genau wie in Vinales) und die allgegenwärtigen Bananenstauden, dazu noch Bambus, Eukalyptus und natürlich eine Menge anderer einheimischer Pflanzen, die ich nicht alle namentlich aufzählen kann. Wir steigen (freiwillig!) steil hinunter in eine Schlucht, um in einem Wasserfall zu baden (und danach natürlich alles wieder hinauf zu steigen, bei 28°C). Was man nicht alles macht im Urlaub…
Wir Schnorcheln, bis uns das Meer schummrig geschaukelt hat und wir die Fische nicht mehr zählen können und kaufen Andenken in kleinen Souvenirläden, die alle – ausnahmslos alle – die gleiche Ware zu (fast) gleichen Preisen anbieten. In einem „Supermarkt“ entdecken wir neben ellenlangen leeren Regalen „Rügenfisch“ für 7 (!!!) Euro pro Dose.
Und abends, wenn die Sonne untergegangen ist, genießen wir das leckerste Essen in ganz Kuba – frisch zubereitet von unserer Gastgeberin (die übrigens kein Wort Englisch spricht…). Diese Casa ist ein Ort, da möchte man länger bleiben und die Seele baumeln lassen. Wie der Belgier aus dem Nachbarzimmer, der nur nach Kuba gekommen ist, um hier auszuspannen. Mit Laufschuhen, Angel und Schnorchelausrüstung.

Quasi über Nacht verändert das Land der Salsa sein Gesicht. Am frühen Samstagmorgen stirbt Fidel Castro mit 90 Jahren in Havanna. Der Mann, den sie hier trotz Machtübergabe an seinen Bruder Raul noch immer „el presidente“ nennen, hinterlässt ein Land, das den Atem anhält. Für die nächsten neun Tage schweigt in ganz Kuba die Musik, es wird nicht getanzt und keine Feste gefeiert. Kein Alkohol in den Läden verkauft. Drei Tage können alle von Fidel Castro Abschied nehmen, bevor er am Dienstag nach Santiago de Cuba überführt wird – auf dem gleichen Weg, wie die Revolution einst nach Havanna kam. Wir werden noch zweieinhalb Tage in Havanna verbringen und wissen noch nicht so richtig, was uns erwartet. Was hier gerade passiert, ist ein Moment Weltgeschichte – mit offenem Ausgang.

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Abseits ausgetretener Pfade

Heute Nacht bin ich wach geworden von Sams Taschenlampe. Er musste sich gerade vergewissern, dass alle Fenster und Türen geschlossen sind, denn irgendetwas kroch kratzend und schleifend über das Dach unserer Casa. Wer weiß, welche nachtaktiven Kreaturen Kuba so zu bieten hat. Auf alle Fälle betrunkene Touristen, die lärmten nämlich wenig später an unserer Unterkunft vorbei. Und der erste Hahn krähte um zwei Uhr morgens, aber der hatte sich sicher vertan.
Wir sind gerade in Playa Larga an der sogenannten Schweinebucht, in der die Amerikaner erfolglos versucht hatten, Kuba einzunehmen. Daran erinnert aber nicht mehr, als ein einsamer Panzer am Straßenrand. Wer hierher kommt – und das sind nicht allzu viele Reisenden – der möchte vor allem eins: Die spektakuläre Unterwasserwelt sehen.
Wir bewegen uns gern im Laufe einer Reise auf den wenig ausgetretenen Pfaden. In Vinales (ein Dorf mit 1200 Privatunterkünften, ca. 5000 Gästebetten) war das schlicht nicht möglich. Wären da nicht Bill und Carolin gewesen. Ein englisch-amerikanisches Paar aus Mexiko im Rentenalter, die mit uns eine Casa teilten. Sie waren mit ihrem Mietwagen auf eigene Faust durch den Nationalpark gefahren und hatten dabei das Sackgassendorf Ancón entdeckt. Da, wo sich am Tag gerade mal zwei bis drei Autos hin verirrten stand am Ende der Straße ein Guide mit einem Schild und versuchte, Leute für seine Touren durch den Dschungel zu gewinnen. Nachdem sie die Tour getestet und für ausgezeichnet befunden hatten, setzten sie uns am nächsten Tag dort ab, irgendwo im Nirgendwo. Der Guide konnte kein Englisch und unser Spanisch – nun ja, pocito.
Er führte uns in eine Höhle, erhellt nur von unseren Taschenlampen und bewohnt von hunderten Fledermäusen und großen Eidechsen. Auf und ab ging es durch den Dschungel, tief hinein bis zu einem kleinen Wasserfall mit einem natürlichen Pool zum Baden. Da tummelten sich auch einige „cerdio grande“, große Schweine, die tagsüber sich die Bäuche mit Eicheln voll schlagen und nachmittags auf den Ruf der Besitzer in die umliegenden Dörfer zurückkehren. Auf der ganzen dreistündigen Tour sind uns gerade mal zwei weitere Reisende begegnet.
Nach drei Nächten haben wir in Vinales unsere Zelte abgebrochen und sind weitergereist nach Playa Larga. Vier Stunden Fahrt mit einem taxi collectivo. Naja, eigentlich zwei. Denn nachdem wir es uns mit sechs anderen Reisenden gerade gemütlich gemacht hatten in dem alten Chevrolet, hieß es auf der Hälfte der Strecke: umsteigen. Und zwar in einen alten, super engen Truck. Gepäck auf’s Dach geschnallt, achtzehn Leute rein gestapelt und ab ging die wilde Fahrt. Wir brauchen dringend mal Bustickets…
Playa Larga ist ein kleiner Fischerort direkt am Karibischen Meer und mit Vinales nicht zu vergleichen. Hier halten nicht im Minutentakt Tourbusse, die den Ort mit Besuchermassen überschwemmen. Wer von A nach B will nimmt ein Fahrradtaxi und mit etwas Glück bekommt man einheimische Währung und für Streetfood und Getränke auch einheimische Preise. Die Casa, die wir schon von Deutschland aus gebucht hatten, haben wir nicht bekommen. Die, die wir jetzt haben, ist aber möglicherweise noch einen Tick besser und gehört dem Sohn unseres ursprünglichen Gastgebers. Wer es sich in Kuba gerade leisten kann, baut sein Haus zur Casa um, maximal zwei Fremdenzimmer dürfen die Kubaner vermieten und müssen dafür, ob belegt oder nicht, monatlich eine nicht unerhebliche Gebühr an den Staat entrichten. Vielleicht ist das der Grund für häufige Doppelbelegungen von Zimmern. So kann man notfalls der Familie oder Verwandtschaft noch ein, zwei Vermietungen verschaffen. Oft bieten die Casas auch Abendessen an, das muss man allerdings schon am Morgen bestellen, denn es wird erst eingekauft, wenn der Gast gewählt hat, was er essen möchte. Anders in Restaurants. Da gibt es das, was gerade verfügbar ist, egal was auf der Karte steht. Manche Restaurants haben deshalb gar keine Karte, sondern nennen dem Gast bei Ankunft die Gerichte, die es gerade gibt.
Das ländliche Kuba gefällt uns um Längen besser als die touristischen Hotspots, wo in jedem Tourist gleichzeitig ein Goldesel gesehen wird. Der Nachteil des Reisens abseits ausgetretener Pfade ist, dass man noch schlechter von A nach B kommt. Heute wollen wir weiterreisen nach Santa Clara. Weil da aber so wenige Touristen gleichzeitig hin wollen, bekommt man kaum ein taxi collectivo, von Bustickets ganz zu schweigen. Also ein Privattaxi. Natürlich aus der Verwandtschaft des Gastgebers, wie sollte es anders sein.
Vorher geht’s aber noch mal zum Strand, ein bisschen mehr Unterwasserwelt beobachten. Das haben wir gestern schon den ganzen Tag gemacht, bis das Meer uns schwindelig geschaukelt hatte. Aber das Wasser ist so klar und die Fische so bunt, das muss man einfach gesehen haben.
Die Hälfte unserer Reise ist um. Jetzt habe ich das Gefühl, angekommen zu sein und das Land zu verstehen. Zumindest ein ganz kleines bisschen.

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Urlaub mit Hindernissen

Zum Zeitpunkt, als ich diesen Text schreibe, weiß ich noch nicht, ob und wann ich die Chance bekomme, ihn im Internet hochzuladen. Wir haben eine Internetkarte für 3 cuc (etwa 2,60€) bei einem Typen auf der Straße gekauft und können damit für eine Stunde ins öffentliche WLAN. Und öffentlich heißt dabei wirklich öffentlich – die Internet-Hotspots sind allesamt auf öffentlichen Plätzen, wo sich dann halb Kuba zum skypen und Mails schreiben versammelt.
Wir sitzen auf einem Flachdach in Vinalés, einem grünen Tal ganz im Westen Kubas. Hier wird auf roter Erde Tabak und Zuckerrohr angebaut, in den Wäldern wachsen Kiefern und Palmen nebeneinander. Die Kalksteinberge sind voller Wasserfälle und Höhlen – und eben auch voller Touristen. Wir haben eine Casa Particular etwas abseits vom Stadtzentrum gelegen, grün und recht ruhig. Wenn wir morgens frühstücken, frühstücken nebenan beim Nachbarn auch die Schweine und die Kolibris trinken aus der Bananenblüte.
Heute ist unser zweiter Abend, Sam raucht Zigarre – denn dafür ist er nach eigener Aussage hergekommen ins Land des Tabaks – und ich, na ich schreibe. In einer Bar in der Nähe läuft kubanische Musik in Disco-Lautstärke und natürlich lässt „Exorbitantis Summ“ grüßen (Kennt ihr noch nicht? Näheres in unsere Asien-Berichten). Unsere Gastgeber haben gerade Familientreffen und die Nachbarn sind auch alle auf den Beinen. Was soll man auch machen den ganzen Abend, ohne Internet und Fernsehen… Wir fallen halb zehn müde ins Bett und frühstücken freiwillig um acht Uhr. Im Urlaub! Eigentlich undenkbar, aber das ist eben Kuba.
Es ist laut, es ist quirlig, (fast) jeder spricht dich an, es gibt bisher wenig Raum für Entspannung. Die Eigenarten dieses Landes haben mich in den ersten Tagen ziemlich überrollt. Kein Reiseführer und kein Internetforum konnten uns darauf vorbereiten, was uns wirklich hier erwartet. Kuba, das ist Individualtourismus für Fortgeschrittene, quasi 2.0 – eine Herausforderung. Wir brauchten einen halben Tag, um uns klar zu werden, ob wir die Herausforderung annehmen oder alle bisherigen Buchungen über Bord werfen und uns im nächsten All-inclusiv-Hotel einmieten wollen.
Wir haben keine Möglichkeit, zu telefonieren oder innerhalb des Landes SMS zu schreiben. Unsere deutsche SIM-Karte darf gerade mal Nachrichten nach Deutschland verschicken. Für alles andere fehlt uns die Erlaubnis, wie es die nette Computerstimme so schön auf Spanisch und Englisch erklärt. Dass unser Handy innerhalb des Landes nutzlos ist, hätte uns fast das geplante Treffen mit Simon, einem Freiwilligendienstler aus Stendal, in Havanna gekostet. Es gab zwar einen Treffpunkt und einen Zeitplan, aber wir sind stundenlang aneinander vorbeigelaufen. Am Ende haben wir uns doch gefunden, in dieser verrückten 2-Millionen-Stadt und es war eine Gebetserhörung!
Von Havanna wollten wir mit dem Bus weiter nach Westen reisen. Doch die Bustickets waren schon am Tag vorher ausverkauft. Zugtickets muss man zwei Wochen im Voraus buchen, ebenso Mietwagen. Und ob man dann am gewünschten Datum tatsächlich auch ein Auto zur Verfügung gestellt bekommt, das weiß keiner. Uns blieb nur die bis dahin unbekannte Reiseart des „taxi collectivo“. Ein Auto, vollgepackt bis unter’s Dach mit Leuten, die in die gleiche Richtung möchten. Man wird an der Unterkunft abgeholt und vor der Tür der Nächsten abgesetzt, das ist schon eine gute Sache. Von der Qualität des Fahrzeugs weiß man vorher nichts. Möglicherweise bekommt man ein modernes Auto mit Klimaanlage und Airbags, vielleicht aber auch einen rostigen Karren auf vier Rädern, in dem man mitsamt Gepäck auf einer schmalen Bank im Kofferraum sitzt. Wir bekamen letzteres und dazu noch einen Fahrer, der wahrscheinlich einen Preis für die schnellste Strecke und die lauteste Musik gewinnen wollte. Die Fahrt dauerte drei Stunden… Zum Schluss sind mir fast die Ohren abgefallen, aber wir sind angekommen.
Die Straßenverhältnisse lassen in weiten Teilen des Landes stark zu wünschen übrig und mit der Tiefe der Schlaglöcher wächst der Ego der Fahrer – so mein Gefühl. Wir haben noch ein paar Kilometer vor uns und hoffen wirklich auf entspannte und sichere Fahrten. Und auf Bustickets.
Die Preise in Kuba gleichen denen in Deutschland – zumindest für Touristen. Das liegt am System der zwei Währungen. Heute sind wir für 20cuc pro Person (18€ p.P.) mit einem taxi collectivo älteren Baujahrs (russischer Jeep mit Zweitaktmotor, fehlenden Scheiben, ohne Stoßdämpfer dafür aber mit aufgeklebtem Peugot-Zeichen) zu einem ziemlich einsamen Strand gefahren. Neun Plätze, neun Leute – und auf den letzten zehn Kilometern noch ein Kubaner hinten auf der Stoßstange. Außen, bei voller Fahrt durch die Schlaglöcher. Naja, zumindest konnte er in den halb geöffneten Kofferraum greifen und sich festhalten.
Das Wetter war etwas durchwachsen, aber trocken und der Strand wirklich so schön, wie versprochen. Nur zum Schnorcheln war die See leider zu rau.
In kubanische Verhältnisse übertragen war das, was wir gemacht haben, ungefähr so: Ein Touristenpaar nimmt sich in Deutschland ein Taxi von Berlin an die Ostsee für 1000€ pro Person, um dort im Dezember zu baden. (ein kubanischer Monatslohn liegt bei ca. 20cuc)
Schon verrückt, diese Europäer…
Trotz mancher Herausforderung können wir vom unabhängigen, individuellen Reisen nicht lassen. Man sieht so viel mehr und trifft auf Einheimische – und andere Reisende; aus Neuseeland, Mexico, England… und natürlich aus Deutschland. Eines hatten bisher alle gemein. Nämlich diese eine Frage: Habt ihr euch das Reisen in Kuba so schwierig vorgestellt? Nein, haben wir nicht.

Nachtrag: Es ist Sonntagmorgen, wir sitzen auf einem kubanischen Bürgersteig, laden Bilder hoch und warten auf ein englisch-amerikanisches Ehepaar aus Mexico, das uns zu einer Wandertour durch das touristisch wenig erschlossene Hinterland mitnehmen will. So gefällt uns das Reisen. 🙂